Inklusion und Schule – gleichberechtigte Partnerschaft von Pädagogik und Sozialer Arbeit?

Fast jeder dritte Schüler mit Behinderung oder sozialer Beeinträchtigung besucht mittlerweile eine Regelschule – Inklusion ist in den Schulen angekommen, allerdings bisher deutlich mehr in Grundschulen als in Realschulen und Gymnasien.

Schulen aller Schulformen stehen derzeitig vor der Herausforderung und dem politischen Druck, sich im Rahmen des Inklusionsprozesses neu zu orientieren und (visionär) weiterzuentwickeln. Während klar scheint, dass inklusive Schulen Zugangsbarrieren, soziale Benachteiligungen und Diskriminierung abbauen sowie Partizipation und Teilhabe für alle Kinder und Jugendlichen ermöglichen, wurde die Rolle der Sozialen Arbeit (Schulsozialarbeit, Jugendsozialarbeit) in der alltagspraktischen Umsetzung bislang nur am Rand beleuchtet.

Der Inklusionsbegriff wird ohnehin häufig zu eng gefasst und oft nur auf Menschen mit Behinderungen bezogen. Inklusion steht aber auch für die gesellschaftliche Bereicherung durch Heterogenität (Unterschiedlichkeit) und Vielfalt. Damit entstehen mit der Einführung integrativer Konzepte in den Schulbereich auch Schnittpunkte zwischen der Heil- und Sonderpädagogik sowie der Jugendsozialarbeit.

Übrigens: Inklusion ist nicht gleich Integration. Menschen mit Behinderung(en) müssen sich nicht verändern und in bereits bestehende Gefüge integriert werden. Vielmehr ist die Schaffung von Strukturen notwendig, dass nicht nur Menschen mit Behinderung(en), sondern alle Mitglieder der Gesellschaft ihr Recht auf Chancengleichheit, Selbstbestimmung und gesellschaftliche Teilhabe auch wirklich einlösen können.

Teilhabe, Integration und die Vermeidung von Benachteiligungen zählen auch zu den zentralen Aufgaben der Jugendsozialarbeit. Damit gehören Kinder und Jugendliche mit Beeinträchtigungen oder Behinderungen, aber auch durch Mittel- oder Chancenlosigkeit geprägte, sozial Benachteiligte zu den wesentlichen Zielgruppen Sozialer Arbeit.

Jugendsozialarbeit soll diesen jungen Menschen im Rahmen des § 13 SGB VIII geeignete sozialpädagogische Hilfen anbieten, um Schule, aber auch Ausbildung, den Übergang zum Beruf oder die Suche nach unterstützenden Wohnformen meistern zu können. Zudem steht die Beratung von Lehrern und Eltern bei der Erziehung sowie in Fragen des Kinder- und Jugendschutzes ebenso auf der Agenda wie die politische Einmischung für die Stärkung und Strukturverbesserung zur Teilhabe aller.

Lehrkräfte, Sonderpädagogen und Schulsozialarbeiter unter einem Dach – Harmonie oder Konfliktpotenzial?

In den letzten Jahren haben sich Schulsozialarbeiter an vielen Regelschulen und Gymnasien fest etabliert. Im Zuge der Weiterentwicklung zu inklusiven Schulen gehören jetzt auch Sonderpädagogen zum Schulbild, so dass es Aufgabenbereiche im Schulalltag neu und gleichberechtigt zu verteilen gilt. Sich das Finden der eigenen Rolle in diesen Veränderungsprozessen bewusst zu machen, verursacht in vielen Kollegien „Bauchschmerzen“, Überforderung, Verlustängste und Reibungspunkte.

Haben sich bis vor einigen Jahren noch die Lehrer um alle Belange gekümmert, arbeiten heute drei Berufsgruppen mit unterschiedlichen Handlungsansätzen mit den gleichen Kindern. Während die Lehrerschaft die schulische Leistungsentwicklung im Mittelpunkt sieht, haben Sozialarbeiter eine sozialpädagogisch geprägte Sicht auf die Kinder und deren Familien. Die Sonderpädagogen hingegen betrachten schulische Leistungen und das soziale Umfeld der Kinder und sitzen damit zwischen den Stühlen. Erschwerend kommt ggf. hinzu, dass Sozialarbeiter und Sonderpädagogen verschiedene  Stundenzahlen leisten und unterschiedlich bezahlt werden. Dafür Verständnis zu entwickeln und zugleich den Konkurrenzkampf-Gedanken zu unterbinden, ist zuweilen ganz schön viel verlangt.

Nichtsdestotrotz erfordert eine inklusive Schulentwicklung eine multiprofessionelle Zusammenarbeit aller Berufsgruppen mit konstruktiven Diskussionen, strukturiertem Austausch und einem professionellen Konfliktmanagement. Anderenfalls erstickt jeder noch so positive Ansatz an eigenen Befindlichkeiten und Streitereien um Zuständigkeiten.

Jugendsozialarbeit und die Umsetzung inklusiver schulischer Ansätze

Wenn Jugendsozialarbeit keine Randerscheinung, sondern einen selbstverständlichen und offensiven Teil bei der Erstellung und Umsetzung inklusiver Schulkonzepte übernehmen will, muss sie als anerkannter und gleichberechtigter Teil des ganzen Teams agieren. Nur auf diesem Weg kann es gelingen, inklusives Verständnis zu erreichen, inklusive Lehr- und Lernformen zu entwickeln, inklusive Konzepte für die individuelle und situative Unterstützung zu erarbeiten sowie das Selbst- und Rollenverständnis insbesondere im Hinblick auf die Arbeitsteilung kontinuierlich zu reflektieren.

Inklusive Schulen setzen bei der Umsetzung sozialer Inklusion nicht auf Lehrer mit Frontalunterricht, sondern auf Lehrteams, in denen im optimalen Fall Lehrer, pädagogische Mitarbeiter sowie Fachkräfte der Jugendsozialarbeit und Sonderpädagogen im und außerhalb des Unterrichts lösungsorientiert kooperieren. Dies ermöglicht zugleich partizipative Strukturen sowie eine Vernetzung mit Sozialer Arbeit oder der Wirtschaft. Auch die Eltern sind primär Kooperationspartner, wenn es um die Lebenswelt von Kindern und Jugendlichen geht.

Ein wichtiger Bestandteil inklusiver Schulentwicklung ist die Qualitätssicherung, bei der nicht nur messbare Schülerleistungen, sondern auch die Kompetenzen der Fach-, Lehr- und Führungskräfte sowie die Fehlerkultur und Evaluation der Konzepte eine besondere Rolle spielen.

Die Umsetzung von Inklusion in der Schule ist für alle Beteiligten ein andauernder Lern- und Erfahrungsprozess, in dem ggf. theoretisch ausgefeilte Konzeptionen an der praktischen Machbarkeit scheitern oder die aus der Not geborenen Ideen hervorragend funktionieren können. Nicht am (vermeintlich einzig wahren) Konzept festhalten, sondern offen für alles sein! Dies schließt auch die Einsicht ein, dass nicht jeder förderbedürftige Schüler durch die inklusive Brille besser sieht.

Steiniger Weg zu inklusiven Schulen

Partizipation, heterogene Lerngruppen, die Vielfalt individueller Begabungen und Förderbedürfnisse, ganzheitliche Akzeptanz, innovative Unterrichtsmethoden,  Projektaufgaben, Gruppenarbeit an fächerübergreifenden Themen, handlungsorientierter Unterricht, Selbständigkeit und Eigenverantwortlichkeit der Schüler sowie gemeinsames Arbeiten von Lehrern, Sozialarbeitern und Sonderpädagogen – das hört sich alles super an. Allerdings sind die Hürden für Inklusion in Schulen oft hoch: kein Fahrstuhl, unzureichende Ausstattung, neue Klassenstrukturen, fehlende Vorerfahrungen in der inklusiven Beschulung und dem Teamunterricht, zu wenig Personal, Vorbehalte.

Auch wenn viele Bundesländer Inklusion versprechen, wird es mit möglichst geringen finanziellen Mitteln nicht gelingen. Doch auch Geld ist längst nicht alles, wenn Schulleitungen, Lehrkräfte, Sozialarbeiter und Sonderpädagogen, aber auch die politischen Verantwortungsträger nicht an einem Strang ziehen.

Aus Sicht der Sozialen Arbeit sind Themen wie inklusive Schule auch im Studium Soziale Arbeit auszubauen und durch Praktika weiter zu vertiefen, um für die Herausforderungen in diesem Berufsfeld besser vorbereitet zu sein. 

FAZIT:

Schublade „Menschen mit Behinderungen“ zuschieben, Vorbehalte abstreifen, aus alten Gewohnheiten ausbrechen, Sichtweisen SP_logo16_Fazitverändern, (wieder) kreativ werden, neue Methoden probieren, sich auf Kollegen anderer Berufsgruppen ein- und verlassen, Versuche wagen, ein breites Ideenspektrum nutzen, sich der Gruppendynamik bedienen, positive Entwicklungen weiter verfolgen und Fehlentwicklungen korrigieren, voneinander profitieren, nicht nur „schwarz und weiß“, sondern die Zwischentöne wahrnehmen. Chance, Risiko oder beides? Auf jeden Fall ein spannendes Arbeitsfeld nicht nur für Sozialarbeiter!

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