Kampf um Qualität in der Kindertagesbetreuung
Mit dem gesetzlichen Anspruch auf einen Kita-Platz für Kinder mit vollendetem ersten Lebensjahr ab 1. August 2013 gelten Kindertagesstätten als Wachstumsbranche schlechthin. Während im Jahr 2006 Bund, Länder und Kommunen etwa zehn Milliarden Euro in die Kinderbetreuung investierten, explodieren seither die Ausgaben. So schlug das Jahr 2014 immerhin mit fast 23 Milliarden Euro zu Buche.
Doch der gigantische Ausbau der Betreuungsplätze hat auch eine Kehrseite: Die Qualität der Einrichtungen leidet teilweise massiv, weil die Bildungspläne nicht umgesetzt werden können. Sozialwissenschaftler Stefan Sell (Hochschule Koblenz) beschreibt sogar „kindeswohlgefährdende Strukturen“, so lange „gestresste und überarbeitete Erzieher sowie schlecht oder zu kurz qualifizierte Mitarbeiter“ kleine Kinder betreuen.
Einen wohnortnahen Kita-Platz zu ergattern, ist für die Eltern meist schon ein Grund zum Feiern, gekonnt ist aber damit noch lange nichts. Einen Kindergarten besuchen zu können, sagt schließlich noch nichts über Personalstruktur, Betreuungsverhältnisse, Angebotsvielfalt, die räumlichen Gegebenheiten, Öffnungszeiten oder eine Verbesserung der Bildungs- und Entwicklungschancen aus.
Einrichtungen, Betreuungsquoten und Personalschlüssel
Laut Statistischem Bundesamt stieg die Zahl der unter dreijährigen Kinder in Kindertagesstätten und der öffentlich geförderten Kindertagespflege zum Stichtag 1. März 2016 gegenüber dem Vorjahr um rund 26.200 auf insgesamt etwa 719.600 Kinder, was einer Betreuungsquote von bundesweit 32,7 % entspricht.
Während die Kindertagesbetreuung bei Kindern unter 1 Jahr mit bundesweit 2,5 % eher eine geringe Bedeutung hat, nutzen bei den Einjährigen 36,1 % und bei den Zweijährigen 60,6 % entsprechende Angebote.
Beachtlich ist zudem, dass in den westdeutschen Bundesländern die Betreuungsquote der unter Dreijährigen bei durchschnittlich 28,1 %, in Ostdeutschland (einschließlich Berlin) aber bei 51,8 % liegt.
Die Zahl der Beschäftigten in Kindertageseinrichtungen ist seit 2012 von 544.040 auf 666.455 im Jahr 2016 gestiegen, von denen 16.726 (14.004 im Jahr 2012) eine Ausbildung als Sozialpädagoge bzw. Sozialarbeiter, 385.456 als Erzieher (338.298 im Jahr 2012) und 64.480 eine Ausbildung als Kinderpfleger haben.
Die Bertelsmann-Stiftung bescheinigt dabei Hessen mit 10 % den höchsten Anteil an ausgebildeten Sozial- und Kindheitspädagogen, gefolgt von Hamburg, Bremen und Sachsen mit je 9 %.
Beim bundesweiten Vergleich des Kita-Personalschlüssels geht die Schere besonders weit auseinander. Während etwa in Baden-Württemberg eine Kita-Fachkraft 7,3 Kinder betreut, sind dies in Mecklenburg-Vorpommern mit 14,1 fast doppelt so viele. Chancengleichheit sieht anders aus!
Problem erkannt-Problem gebannt?
JEIN. Die Forderungen der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft, Träger- und Sozialverbänden und Landespolitikern werden lauter, die bundesweit sehr heterogene Kindertagesbetreuung durch ein „Kita-Qualitätsgesetz“ zu novellieren und damit weitgehend vergleichbare Lebensverhältnisse für unsere Kinder zu schaffen. In einem solchen Gesetz sollen etwa der Personalschlüssel, Gruppengrößen und eine qualifizierte frühpädagogische Betreuung durch die Fachkräfte festgeschrieben sowie die angemessene Einordnung von Arbeitszeitanteilen für Dokumentationen, Eltern- und Teamgespräche, Weiterbildung, die Freistellung für Leitungsaufgaben und im besten Fall zum Gehalt erfolgen.
Obwohl das Qualitätsgesetz längst überfällig ist, scheitert die praktische Umsetzung, wen wundert’s, insbesondere an dessen Finanzierung. So erfordert etwa die Umsetzung eines kindgerechten Betreuungsverhältnisses (auch Fachkraft-Kind-Relation) zusätzliche Personalkosten in Höhe von jährlich 4,8 Milliarden Euro oder anders betrachtet: Es fehlen 107.000 qualifizierte Vollzeitkräfte.
Übrigens liegt aktuell der durchschnittliche Personalschlüssel bei Kindern unter drei Jahren bei 4,3, bei Kindern über drei bei 9,3. Im Idealfall – so empfiehlt es die Bertelsmann-Stiftung in ihrer Studie zum Qualitätsausbau in KiTas 2016 – sollte eine Fachkraft drei Krippenkinder oder 7,5 Kindergartenkinder betreuen.
Der ungleiche Kampf Qualität gegen Wirtschaftlichkeit
Beim Ausbau der Kindertagesbetreuung steht nicht mehr nur das Kindeswohl im Mittelpunkt, sondern – wen wundert’s – auch das liebe Geld. Der Bund hat den Rechtsanspruch auf einen Kita-Platz zwar beschlossen, aber (bisher) nicht genügend Geld für die quantitativen und qualitativen Ausbau beigesteuert. Stattdessen verschärft sich die Haushaltslage der Kommunen bzw. der Einrichtungsträger und damit das bedingungslose Streben nach Wirtschaftlichkeit. Sicht- und spürbare Auswirkungen dieser Tendenz sind etwa, dass einige Kinder kein Frühstück oder Mittagessen bekommen, weil die Eltern das Essengeld nicht bezahlen oder nicht neu gewindelt werden können, wenn die Eltern keinen Ersatz mitgebracht haben.
Unter diesen Gegebenheiten erscheinen die Pläne einiger Bundesländer (z. B. Thüringen), ein oder mehrere kostenfreie Kita-Jahre einzuführen, in einem anderen Licht. Erst Qualität, dann Beitragsfreiheit!
Förder-Flickenteppich anstatt Qualitätsgesetz?
Die Qualität frühkindlicher Bildung entscheidet in hohem Maß über zukünftige Bildungserfolge sowie Entwicklungs-, Teilhabe- und Aufstiegschancen. Deshalb ist es nur folgerichtig, sich in der frühpädagogischen Forschung und Praxis besonders zu engagieren. So unterstützt das Bundesbildungsministerium eine Reihe von Initiativen, Forschungsvorhaben und Förderprogramme wie die Kindertagespflege, „Sprach-Kita: Weil Sprache der Schlüssel zur Welt ist“ sowie „KitaPlus: Weil gute Betreuung keine Frage der Uhrzeit ist“. Während bei den Sprach-Kitas die Schwerpunkte Alltagsintegrierte sprachliche Bildung, Inklusive Pädagogik und Zusammenarbeit mit Familien im Mittelpunkt stehen, zielt KitaPlus auf eine Flexibilisierung der Öffnungszeiten öffentlich geförderter Kindertageseinrichtungen, um auch Arbeitnehmern mit unsteten Arbeitszeiten oder Alleinerziehenden eine geeignete Kinderbetreuung zu ermöglichen.
Nichtsdestotrotz können derartige Förderprogramme nur Pflaster auf kleinere Wunden sein, also nur punktuell strukturelle und inhaltliche Verbesserungen bewirken. Ein bundesweites Qualitätsgesetz hingegen könnte – auch wenn viele Bundesländer zwischenzeitlich eigene Qualitätskriterien oder Empfehlungen erarbeitet haben – Mindestanforderungen vorgeben, die das eigentliche Übel an den Wurzeln packt. Wenn Erzieher bereits an der personellen Absicherung des Dienstplanes verzweifeln, müssen wir uns nicht wundern, wenn die Qualität in den Hintergrund rückt oder gänzlich auf der Strecke bleibt.
FAZIT:
Dass „gut und preiswert“ nur in den seltensten Fällen zusammen passen, wissen wir aus unserem täglichen Leben. Und so bietet ein fantastisches Kindergartengebäude noch lange keine Garantie für eine ebenso fantastische Kinderbetreuung. Ständige Personalknappheit, viel zu große Gruppen, Zeitdruck, Aus- und Weiterbildungsstau, Stress sowie teils fragwürdiges Anspruchsdenken von Seiten der Träger und Eltern erzeugt Überforderung, Demotivation und Resignation. Wenn wir das unseren Kindern auch weiterhin zumuten wollen, kann alles so bleiben wie bisher. Wenn wir jedoch eine qualitativ hochwertige frühkindliche Bildung anstreben, dann müsste in Bund, Länder und Kommunen in Sachen Kita-Qualitätsgesetz wesentlich mehr Fahrt aufgenommen werden.
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